Putzelchen bei den Feen

                                                                 

Putzelchenlebte in einem großen, weitläufigen, sonnigen Wald. Viele Laubbäume,einige große Eichenhaine und kleinere Fichtenschonungen wechselten sichab. Ruhige Teiche lagen, von dichten Brombeerranken geschützt, am Randeder Haine. Frösche und Libellen wohnten und spielten dort.

Esgab sonnige, versteckte, Wiesen. Wunderschöne Plätze waren das, andenen abends die Nymphen, Feen, Zwerge und Elfen spielten.

Putzelchenwar ein kleiner, weiblicher Waldgeist. Sie schwebte oder flog über dieFichten hinweg oder an den alten Eichen entlang. Sie brauchte sich nurzu wünschen: "Ich will zum kleinen Teich bei den Weidenbäumen", so warsie im Nu dort. Es dauerte kaum so lang wie ein Wimpernschlag.

Putzelchenhatte viele schöne Begabungen. Sie konnte ihre Gestalt verändern, sichin einen Sonnenstrahl verwandeln oder aussehen wie ein heller Scheinoder sich vollständig unsichtbar machen. Manchmal, wenn sie Freude dranhatte, verwandelte sie sich in einen großen Wassertropfen und setztesich auf ein Blatt am Rande der Teiche.

Siekonnte fröhlich sein, singen, spielen, tanzen, lachen. Oder sie konntewie ein sausender Wind durch die Bäume fahren. Das machte ihr ammeisten Spaß! Aber sie saß auch gern am Wiesenteich und träumte vorsich hin.

Doch all dies galt nicht viel in der Welt der großen, klugen Waldgeister. "Du musst noch viel lernen", sagten sie ihr.

Putzelchenwar oft allein. Die anderen Waldgeister hatten nämlich viel zu tun.Ständig waren sie unterwegs, um hier nach den Bäumen zu schauen, umdort einem Tier zu helfen. Sie mussten alles in Ordnung halten, undPutzelchen war manchmal einsam.

Hinund wieder setzte sie sich zu den Elfen und hörte ihnen zu. Elfenkönnen bezaubernd singen. Auch redete Putzelchen öfter mit den Zwergen,half den Feen und bewunderte die schönen Nymphen, die in den Teichenwohnten.

PutzelchensEltern waren große, kluge Waldgeister, die viel Erfahrung hatten undoft um Hilfe gebeten wurden. Sie waren immerzu unterwegs.

Putzelchenwusste nicht recht, was sie tun sollte. Sie wollte nicht mehr fragen.Zu oft hatte man ihr geantwortet: "Ich habe keine Zeit für langeErklärungen. Schau, dass du lernst, was zu tun ist!" Das wollte sie ja.Doch niemand nahm sich Zeit, es ihr zu zeigen! Sie war gekränkt. Dochdas sagte sie nicht.

Eines Abends fragte sie die Elfen: "Was tun Waldgeister eigentlich?"

DieElfen waren freundliche Wesen, immer fröhlich, immer zu einem kleinenSchabernack bereit. Diesmal schauten sie sich ratlos an. "Wir wissennicht, was Waldgeister tun. Du musst es doch wissen. Zeigt es dir dennkeiner?"

Unddann lachten sie wieder fröhlich untereinander, fassten sich an denHänden und tanzten Ringelreihen um ein paar Schlüsselblumen.

Putzelchenfragte weiter, diesmal eine Waldnymphe, die am Libellenteich saß. siekämmte ihr wunderschönes, schwarzes Haar. "Weißt du, wozu Waldgeisternützlich sind?"

DieNymphe unterbrach ihr Kämmen. "Woher soll ich das wissen. Du bist dochein Waldgeist. Ich weiß nur, was Nymphen tun." Ihre Stimme war sanftund süß. Ruhig kämmte sie ihr Haar weiter und sah aus, als habe siePutzelchen schon vergessen.

"Ich werde die Feen fragen", sagte Putzelchen zu sich und schwebte davon. Doch auch diese wussten es nicht.

EineZeitlang beobachtete Putzelchen die anderen Waldgeister. Alle warenbeschäftigt. Sie flogen, sausten, kreisten oder schwebten hin und her,und jeder schien genau zu wissen, was zu tun war. Putzelchen versuchte,es abzuschauen und nachzumachen. Doch verstand sie nicht, warum diesesso, jenes anders zu geschehen hatte.

EinesTages fasste sie sich ein Herz und fragte ihre Mutter: "Mama, wozu binich Waldgeist?" "Ach, Putzelchen! Ich habe gar keine Zeit. Vorn amgroßen Eichenweg sind einige Bäume morsch und drohen, umzufallen. Erstmuss ich dort nachschauen. Warte, bis ich wiederkomme."

Putzelchenwartete lange Zeit! Abends endlich kam die Mama. Sie war müde, doch sieerklärte ihr: "Weißt du, mein Schatz, wir Waldgeister sind da, um denWald zu schützen. Wir müssen verhindern, dass ein Unglück geschieht.Wir müssen alles beobachten, die Tiere, die Bäume, das Wetter. Wirmüssen Stürme und Gewitter voraussehen. Wir müssen achtgeben, dasskeine Bäume durch Blitzschlag gefährdet werden. Wir müssen blitzschnellam rechten Ort sein.

Wenn Tiere verletzt sind, müssen wir ihnen helfen und wenn..."

Nochlange erklärte die Mutter weiter. Putzelchen fühlte sich ganz erschöpftund verzagt. Wie sollte sie das alles lernen? Sie hatte Angst.

"Mama, wer zeugt mir das alles? Wer hilft mir, all das zu lernen?"

"Diealten, weisen Waldgeister helfen dir. Du musst sehr fleißig sein. Siezeigen dir, wie du Tieren helfen kannst, wie du den Wald vor Schadenbewahrst, wie du viele verschiedene Gefahren abwenden kannst." "Kannst du es mir nicht zeigen, Mama?" bat Putzelchen. "Nein, das müssen die alten Waldgeister tun."

Soging Putzelchen in die Lehre. Sie lernte eifrig, sie wollte alles gutmachen. Doch das war gar nicht so leicht! Oft machte es ihr gar keineFreude. So viel war es - so viel! "Ach, was soll ich noch alles lernen.Hoffentlich mache ich keine Fehler!" dachte sie oft. Doch gehorsamlernte sie weiter und vieles flog ihr zu.

Einesschmerzte sie jedoch sehr, nämlich, dass die alten, weisen Waldgeisternie so ganz zufrieden waren. Sie konnte noch so gut achtgeben, immersagten sie: "Dies hättest du noch besser machen können. Hier ist nochein kleiner Fehler. Dort ist es noch nicht ganz richtig!"

Putzelchenstrengte sich so an! Sie war schon ganz erschöpft und ihr wurde dasHerz schwer. Oft dachte sie verzweifelt: "Niemals werde ich gut genugsein:" Doch dieses Gefühl behielt sie für sich. Nie sprach sie überihre Zweifel, nie lehnte sie sich auf.

EinesTages fasste Putzelchen einen kühnen Entschluss: "Ich möchte das, wasich gelernt habe, in unserem Wald anwenden. Ich möchte jetzt Papa undMama zeigen, was ich kann." Sie verabschiedete sich von ihren Lehrern.Diese sprachen ihr Mut zu und wünschten ihr viel Erfolg.

DieEltern freuten sich, sie wiederzusehen. Doch waren sie beschäftigt wieeh und je und hatten nur wenig Zeit. Putzelchen ging voller Schwung andie Arbeit, doch die Eltern bemerkten es kaum. Abends, wenn Putzelchenerzählen wollte, waren sie müde und hörten nicht zu. So ließ sie dasbald sein.

Siearbeitete fleißig weiter. Überall hatte sie ihre Augen. Immer wiederfreute sie sich, wenn sie helfen konnte und so viel gelernt hatte. Dochoft spürte sie auch die Angst, nicht gut genug zu sein.

Heutefrüh war ein dicker, schillernder Käfer verunglückt. Er war abgestürztund auf den Rücken gefallen. Hilflos strampelte er mit seinen vielenBeinen in der Luft herum. Aus eigener Kraft konnte er sich nicht mehrumdrehen, sein Rücken war zu rund. Verzweifelt rief er um Hilfe.

Putzelchenwurde alarmiert. Sie wusste gleich, was zu tun war! Sie bog einendicken Halm des Wiesengrases so weit herunter, dass der dicke,strampelnde Käfer ihn fassen konnte. Er hielt sich fest und konnte nunan dem Halm herauf klettern. "Tausend Dank, Putzelchen! Tausend Dank!strahlte der Käfer und verschwand eilig im Dickicht am Wegesrand.

Kaumhatte der Käfer sich verabschiedet, da stürmte ein Zwerg in Windeseileherbei. Er gestikulierte wild mit seinen Armen. "Komm schnell, schnell,Putzelchen", rief er völlig außer Atem. "Wildschweine haben meinPilzhaus umgerissen, meine Frau ist verletzt!"

ImNu waren sie an der Unglücksstelle. Die Zwergenfrau hatte sich am Beinverletzt, blieb aber sehr tapfer! Putzelchen holte Kräuter herbei, dieden Schmerz linderten. Gemeinsam legten sie die kleine Zwergenfrau aufeine Trage und brachten sie zum Waldarzt. Anschließend half sie, das Pilzhaus wieder aufzurichten und in Stand zu setzen. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen.

Unddoch ging es am nächsten Morgen sehr früh weiter. Ein Reh hatte sich ineiner Drahtschlinge verfangen. Das arme Tier hing gefesselt an einemZaun, der am Rande des Waldes bei den Eiben entlang lief. Der Drahthatte sich um den Hals des Rehes gewunden. Bei der kleinsten Bewegungzog sich der Draht enger um seine Kehle.

Hierkonnte nur der Förster helfen! Es galt, ihn zu alarmieren! Auch dashatte Putzelchen gelernt. Es dauerte nur einen Gedanken lang, da warsie beim Forsthaus. Gerade war der Förster bereit, seinen Rundgangdurch den Wald anzutreten. Putzelchen konnte sich in seine Gedankeneinschalten. Daher dachte er plötzlich: "Ich will als erstes zum Zaunbei den Eiben gehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass da etwas nichtin Ordnung ist.

Balddarauf fand er das Reh und befreite es. "Vielen Dank, Putzelchen!" riefes laut. Der Förster konnte das zwar nicht hören, doch auch er freutesich, als das Reh erlöst mit weiten Sprüngen davonlief. "

Soleistete Putzelchen viel, oft zu viel. Sie vergaß dabei ganz, für sichselbst zu sorgen. Sie schlief kaum, sie nahm sich keine Zeit fürErholung. Immer durchsichtiger wurde sie. Doch sie achtete nicht daraufund half immer mehr und mehr. Sie fühlte sich ängstlich undbefürchtete, dass sie einen Fehler machen könnte. Nur noch seltenspielte sie mit den Elfen. Nur noch selten saß sie am Wiesenteich, umzu träumen. Am Ende vergaß sie es ganz. Doch innerlich beneidete siedie Elfen und Feen um ihre Muße.

Wiedereinmal braute sich ein Gewitter zusammen. Finstere, schwarze Wolkentürmten sich drohend am Himmel. Ein Sturmwind brauste durch die Wipfelder Bäume.

Schonzuckte der erste Blitz. Gleich darauf hallte ein lauter Donnerschlagdurch den Wald. Wieder und wieder blitzt es auf, und das Krachen desDonners wurde ohrenbetäubend.

AlleWaldgeister waren auf ihrem Posten! Sie verhüteten Schäden, so gut esging. Und dann traf ein Blitz eine gewaltige Eiche! Er schlug siemitten entzwei, begleitet von einem krachenden Donnerschlag. Ein Spanbegann zu glimmen, der Baum fing Feuer! Ein Waldbrand drohte!

Aberzum Glück setzte im gleichen Moment der Regen ein und ein wahrerWolkenbruch rauschte hernieder. Kurze Zeit später war die Gefahrgebannt. Noch lange blitzte und donnerte es. Doch der Regen tat denBäumen und dem trockenen Waldboden gut.

Die ganze Nacht lang leisteten die Waldgeister Hilfe.

 

 

 

 

 

 

EinFuchsbau war überschwemmt worden. Die Mutter hatte nicht rechtzeitignach Hause gefunden, und die vier Jungen waren allein. Putzelchenrettete die jungen Füchse. Sie waren über und über mit Schlamm bedeckt,ganz durchnässt und verängstigt.

 

Putzelchenführte sie an einen geschützten Platz und kurz darauf erschien auch dieFuchsmama, aufgelöst und sehr erleichtert über die Hilfe. Die Kleinenwaren schon wieder ganz vergnügt und balgten sich im Regen herum.Putzelchen half ihnen, einen neuen Bau zu finden.

Noch viele andere Schäden, die der Regen angerichtet hatte, besserten Putzelchen und die anderen Waldgeister aus.

Undbeim ersten Morgengrauen gab es noch einmal Alarm! Ein Jäger war übereine Baumwurzel gestürzt. Er hatte sich den Fuß verrenkt und konnte nurnoch unter großen Schmerzen auftreten.

Wiederwurde kurzerhand der Förster herbei geholt. Er war nämlich auch dieganze Nacht auf den Beinen gewesen und ganz in der Nähe. Langsam gingenbeide - der Jäger auf den Förster gestützt - davon. Niemand merkte,dass das Fernglas des Jägers aus der Lederhülle gefallen war.Unsichtbar lag es im hohen Gras am Wegrand verborgen.

 

 

 

 

Schonlange hatte es sich im Wald herumgesprochen, dass Putzelchen tüchtigwar. Viele dankbare Tiere erzählten von ihrer Rettung. Endlich hörteauch der strenge Papa von ihren großen Erfolgen. Im Stillen beschlosser, ihr bei nächster Gelegenheit eine sehr verantwortungsvolle Aufgabezu übertragen, denn er war stolz auf sie.

 

 

DieTage vergingen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Wochenlang hatte esnicht mehr geregnet, und sogar die Teiche fingen an, auszutrocknen.Erneut bestand Waldbrandgefahr!

Wiederwaren die Waldgeister im Einsatz und hielten abwechselnd Wache.Putzelchen wurde von ihrem Vater beauftragt, dass große Gebiet beimLibellenteich, in dessen Nähe der Jäger gestürzt war, zu überwachen.

Dochsie fühlte sich überanstrengt! Viel hatte sie heute schon geleistet,sie hätte eine Erholung nötig. Aber sie war stolz über dieseAnerkennung und wollte ihren Vater nicht enttäuschen.

"Erholung ist nicht wichtig", dachte sie. "Später mache ich eine kleine Pause."

 

Ganzbesonders musste sie auf heruntergefallene Glasscherben oderMetallstücke achtgeben. Sorgfältig durchsuchte sie das Gebiet. Blassund durchsichtig schwebte sie über die Wiesen und Wege. Es war nochfrüh, doch die Sonne brannte schon heiß vom Himmel.

 

 

Endlich setzte sich Putzelchen auf einen großen Stein und dachte. "Ich werde mich kurz ausruhen."

Tiefim Gras verborgen, noch ganz im kühlen Schatten, lag das Fernglas desJägers. Ab und zu blinkte es leicht aus dem Gras hervor. Putzelchen sahes, doch sie glaubte, es sei ein blitzender Tautropfen. Sie war somüde, sie spürte nicht, dass Gefahr drohte.

DieSonne stieg höher und höher. Gleißend und heiß ließ sie die Schattenverschwinden. Bald hatte sie das Fernglas erreicht, und die Strahlenerhitzten erbarmungslos das Metall. Putzelchen dachte müde: "Ich mussdoch mal schauen, was da so blinkt."

Imgleichen Moment jedoch erscholl ein markerschütternder Schrei. EinBussard war auf einen kleinen Marder herabgestürzt und hielt in amSchlafittchen. Der Marder schrie um Hilfe, so laut er konnte. Erstrampelte mit aller Kraft. Von einer Kralle hatte er sich schonbefreit.

Putzelchenwar sofort zur Stelle, um zu helfen. Es wurde ein harter Kampf! Wie einSturmwind sauste sie um den Bussard. Der wusste nicht, wer ihn sobehinderte, denn Putzelchen war für ihn unsichtbar. Er glaubte, gegenWindböen zu kämpfen und konnte sich nicht mehr in der Luft halten.Endlich ließ er den Marder los. Der verschwand wie ein Blitz in einemErdloch. "Tausend Dank, Putzelchen!" rief er noch schnell und - weg warer!

Putzelchenwollte zurück fliegen, doch in diesem Moment ertönte ein verzweifeltesQuieken. "Ich muss mir Hilfe holen!" seufzte Putzelchen.

Einkleines Wildschwein stürzte heran. Es wurde von einem wütendenHornissenschwarm verfolgt. Jämmerlich quiekte es. Schließlich hatte esdoch nur kurz am hohlen Baum geschnüffelt!

DieBache wollte ihrem kleinen Frischling helfen, konnte aber nichtsausrichten. Eine wilde Jagd quer durch den Wald begann. Putzelchenflitzte mitten in den Schwarm und vertrieb die Hornissen. Das hattelange gedauert. Sie befand sich inzwischen weit von dem Gebietentfernt, das sie beaufsichtigen sollte.

Erschöpftsetzte sie sich auf einen Ast und lehnte sich an den dicken Baumstamm."Ich wollte doch nach etwas sehen", dachte sie noch wie im Traum undschlief ein.

Unterdessenfing es im trockenen Gras beim Fernglas an zu glimmern. WinzigeRauchwölkchen ringelten sich in der Luft. Schon züngelte eine Flamme.Das Fernglas hatte wie eine Linse die Sonnenstrahlen gebündelt und dasGras entzündet. Schnell breitete sich das Feuer aus. .Jetzt hatte estrockene Äste gefunden und nährte sich daran. Ein Bund Schafgarbe gingin Flammen auf!

Die Libellen flitzten entsetzt auf und ab. Wo blieb Putzelchen? Wen konnten sie alarmieren? Bald war das Feuer weit zu Riechen.

Putzelchenwachte erschrocken auf. "Was ist nur?" Sie blickte verstört um sich."Irgendetwas ist geschehen!" Jetzt fiel ihr siedend heiß ein, dass siedoch Wache halten musste!

Wieein Blitz sauste sie zum Libellenteich. Dort waren mittlerweile vieleWaldgeister dabei, den Brand zu bekämpfen. Die Libellen hatten sieherbei gerufen. Mit großen Blättern holten sie Wasser aus dem Teich,andere sausten so schnell durch das Feuer, dass es ausging.

Putzelchenbemerkte ihre Eltern unter den emsigen Arbeitern. „Wo warst Du?“,donnerte ihr Vater. „Du hast nachlässig gehandelt. Du bist nicht wert,dass man dir Verantwortung überträgt!“ Putzelchen wurde blass! Siewollte sich rechtfertigen, doch der Vater polterte weiter: “Geh‘ miraus den Augen!“

Auchdie Mutter sagte streng: “Du hättest mehr lernen sollen!“ Putzelchenließ die Waldgeister allein. Sie war wütend! Sie hatte sich so sehrbemüht!

Warsie wirklich nachlässig gewesen? Hätte sie wirklich mehr lernen sollen?„Hilfe hätte ich mir holen sollen. Ich glaubte, ich könne es alleinschaffen, so wie Vater“, dachte sie verzweifelt.  „So viel habe ichgelernt! Bis jetzt habe ich nie einen Fehler gemacht. Nein, dieVorwürfe von Papa und Mama sind ungerecht! Ich will sie niewiedersehen, ich werde diesen Wald verlassen!“

 UndPutzelchen machte sich auf den Weg. Sie schwebte durch den großen Wald in ein Gebiet, in dem sie noch niemals vorhergewesen war. Geheimnisvollwar es hier, verwunschen und unheimlich. Viele umgestürzte Baumwurzelnbildeten eine fremdartige, undurchdringliche Landschaft.

 

Mittlerweilewar es dunkel geworden. Silbernes Mondlicht übergoss die Wurzeln undFarne, Sträucher und Bäume. Es knackte und raschelte und Putzelchenüberlief ein kalter Schauer. Ein langgezogenes Heulen ertönte, zumGlück weit entfernt. Ermattet und verzweifelt ließ Putzelchen sich aufdem obersten Ast einer Erle nieder. Noch nie war sie so unglücklichgewesen. Sie fühlte sich verlassen und einsam. „Was soll nur aus mirwerden?“ schluchzte sie und begann, herzzerreißend zu weinen.

Imersten dämmrigen Morgenlicht wanderte eine schattenhafte Gestalt untenauf dem Weg entlang. Mit feuchten Augen spähte Putzelchen durch dieÄste. Nur verschwommen sah sie, wie diese Gestalt gegenüber verschwand.Es sah aus, als hätte sie sich gerade vor der riesigen Baumwurzel inLuft aufgelöst. Wenig später kam eine weitere Gestalt vorbei.

Mitangehaltenem Atem lugte Putzelchen durch die Zweige und sah, wie dasrundliche Wesen in einem Eingang unter der Eichenwurzel verschwand.Diese ruhte eng an einem Felsen, sie war nahezu mit ihm verwachsen.

Putzelchenverspürte keine Angst mehr. Sie merkte, dass die beiden schattenhafteGestalten freundliche Wesen waren. Sie flog herab und rief laut:"Hallo, Hallooo!" Innen raschelte es. Inzwischen war es heller Tag.

Eintief gebräuntes Gesicht voller Runzeln zeigte sich. Putzelchenerschrak, doch die Alte lächelte aus jedem Fältchen ihres Gesichtes."Hab keine Angst!" sagte sie sanft. Sie besaß listige Äuglein, dieflink hin und her huschten.

Ein zweites Gesicht erschien neben ihr und noch ein drittes, beide ebenso alt und runzelig. Sie fragten: "Wer bist du?"

"Ichheiße Putzelchen und bin ein kleiner Waldgeist", stellte Putzelchensich schüchtern vor. Da lächelten die drei Alten freundlich unddrängten gleichzeitig aus ihrer unterirdischen Höhle. "Wir sind diedrei alten Waldfeen. Ich heiße Kallatur", sagte die erste. "Ich heißeKallamur", sagte die zweite. "Ich heiße Kallasur", brüstete sich diedritte. "Hast du denn noch nie von uns gehört? Wir sind berühmt!"

"Gibnicht so an", entrüstete sich Kallamur. "Sie ist berühmt, weil sieununterbrochen schwatzt. Das macht ihr wirklich so schnell keinernach!" scherzte sie. Und alle drei lachten herzlich.

Aberdann bemerkten sie, dass Putzelchen ganz traurig aussah und fragten:"Können wir dir helfen?" "Ich weiß nicht." Putzelchen weinte schonwieder, diesmal vor Erleichterung, weil sie so freundlich aufgenommenwurde.

"Kommerst mal herein zu uns. Du brauchst Zeit, dich zu erholen. Du bist jaganz schmal und durchsichtig, wie ein kleiner Faden. Wir werden dichein wenig aufpäppeln", ermunterte Kallasur, die selbst recht rundlichwar und gerade so durch den Eingang schlüpfen konnte. Die Kleiderhingen an ihrer Gestalt, als hätte sie ein Sturmwind dran geweht.Überall waren Fältchen, Tüchlein, Taschen und Zipfel, Fransen undRüschen.

Putzelchenfolgte den gütigen Waldfeen. Sie gingen durch einen engen dunklen Gang,der immer heller leuchtete. Als sie das Ende erreichten, hieltPutzelchen den Atem an. Ein großer, wunderschöner Raum mit gewölbterDecke erstreckte sich weit in den Felsen hinein. Putzelchen staunte!"Das habe ich nicht erwartet", flüsterte sie ehrfürchtig. Die drei Feenlachten vergnügt. Sie freuten sich, dass sie ihre Behausung zu schätzenwusste.

DerRaum war in angenehmes Licht getaucht. Überall waren kleine Fenstereingebaut. Von Außen sahen die wie Löcher oder Spalten aus.

Putzelchendurfte sich auf ein prächtiges Sofa setzen. "Lass dich erst malversorgen. Wie wäre es mit einem kräftigen Kräutertee?" "So, nun erzähluns, was dir geschehen ist." Und Putzelchen redete sich ihren Schmerzvon der Seele. Nichts ließ sie aus, auch von ihren Ängsten sprach sie."Hm, hm, ein schwerer Fall!" murmelte Kallatur. "Aber wir finden schoneine Lösung. Keine Angst!"

"Kallaturist eine Säule der Kraft, ein Perle der Weisheit und eine Quelle derEinfälle", neckte Kallamur. "Ihr bleibt nichts verborgen und ihrgelingt immer etwas!" Kallamur war ein wenig ordentlicher gekleidet.Doch auch sie trug mehrere Schürzchen übereinander und hier ein Tuchund dort ein Täschlein. Auf dem Kopf, dessen graues Haar zu einemdünnen Knoten verschlungen war, lag ein schönes Spitzentüchlein.Kallatur besaß zusätzlich zu den Schürzentaschen noch ganz weite Ärmel.Dort konnte sie alles Mögliche verstauen. Sie hingen wie kleine Beutelvon ihren Handgelenken, behinderten sie aber nicht.

"Ichsammle Kräuter hierin. Die brauchen wir für unsere Feenarbeit."Putzelchen staunte - auch über die großen Stiefel der Waldfeen. WieKähne lugten sie unter den Röcken hervor. Sie fühlte sich glücklich!Sie glaubte fest daran, dass die Waldfeen ihr helfen könnten.

 

 

MehrereTag lang wurde sie liebevoll versorgt. Bald sah sie nicht mehr wie eindünner Faden aus. Ganz von selbst lernte sie viel bei den Waldfeen. Sieschaute einfach zu, was sie taten, welche Kräuter sie sammelten, wiesie Tieren halfen, welche Ratschläge sie gaben. Putzelchen fasste eineherzliche Zuneigung zu den liebevollen Waldfeen.

 

EinesTages sagte Kallatur: "Es ist nun an der Zeit für deine Medizin. Heutebrauen wir dir einen Zaubertrank. Der wird dich heilen. "

Putzelchenklopfte das Herz. Ein riesiger kupferner Kessel wurde mitten in denprächtigen Wohnraum gestellt. Zunächst kam Wasser hinein und wurdedurch das Feuer erwärmt, dann folgten Kräuter, manche als Blätter,andere zerhackt, manche fein zerrieben. Es wallte und brodelte.Putzelchen saß auf dem großen Sofa und schaute gebannt zu. Nun kamennoch geheimnisvolle Essenzen hinzu, die in kleinen Phiolen auf demKaminsims standen.

Die drei Waldfeen begannen mit einem leisen Singsang. es waren Zaubersprüche:

"Schweige und meide,

bleibe in Ruhe.

Leide und vertraue,

lerne und erbaue dich selbst.

Bleibe bei dir,

gib Acht auf dich!

Lauf nicht nach Außen. Bleibe bei dir!

Lass dein Rauschen und Schwätzen,

dein Sorgen und Hetzen.

Gib Acht auf dich selbst!"

Immerwieder murmelten sie diese Sätze, mal lauter, mal leiser, mal schnell,mal langsam. Es wirkte fast einschläfernd. Putzelchen wurde es fastunheimlich zumute. Und doch legte sich die Ruhe des Gemurmels wieBalsam um ihre Seele.

Bald darauf musste Putzelchen von dem duftenden Gebräu trinken. Es schmeckte wohltuend und merkwürdig.

Soernst, wie Putzelchen sie gar nicht kannte, setzten sich Kallatur,Kallamur und Kallasur ihr gegenüber. Kallatur begann ihre Rede: "Wirhaben den Eindruck, liebe Putzelchen, dass du denkst, du müsstestausschließlich für andere da sein und ununterbrochen deinen Plichtennachkommen, solange, bis du krank bist.

Aber Freude am Leben und Anerkennung für deine wunderbaren Lebensrettungen sind doch so wichtig.

Waldgeisterhaben besondere Begabungen bekommen. Sie können wie ein kleinerSturmwind durch die Bäume sausen. Du sagtest, dass dir das viel Spaßmacht. Und es macht auch den Bäumen Spaß. Sie lieben das und habenebenso viel Vergnügen dabei, wie du! Frag sie mal!

Esist gut, wenn du dich in einen Sonnenstrahl verwandelst und den Walderhellst. Das genügt! Alle Tiere und Pflanzen haben Freude daran. Fragsie auch, ob es stimmt."

Putzelchen antwortete: "Aber die alten, klugen Waldgeister schätzen diese Begabungen nicht hoch. Sie lachen mich doch nur aus!"

"Vielleichtstimmt das. Aber wir kennen viele Waldgeister - es sind dieedelmütigen, überschwänglichen Waldgeister - die träumend an denTeichen sitzen und es aus ganzem Herzen genießen, Waldgeist zu sein.

Siespielen mit den Elfen und sind fröhlich. Und wenn ein Tier zu Schadengekommen ist, helfen sie, doch sie vergessen dabei ihre Träume nicht."

"Wirwerden dich zu ihnen führen", setzte Kallamur die Rede fort. "Bei ihnenwirst du lernen, dass deine Begabungen ein Geschenk sind für dich undauch andere.

Putzelchen bezweifelte dies immer noch.

"Musstdu es lernen, durch die Wipfel zu sausen?" "Nein!" antwortetePutzelchen. "Musst du es lernen, im Nu an allen Orten zu sein, an denendu sein möchtest? Oder lernen, dich in einen Sonnenstrahl zuverwandeln?" Putzelchen schüttelte den Kopf.

Sei dankbar für deine Begabungen und schätze sie hoch!"

Die drei Waldfeen lächelten Putzelchen liebevoll an und beendeten die Zusammenkunft.

Putzelchensetzte sich auf eine Erle und dachte lange über die Sätze der Waldfeennach. Ihre Begabungen waren immer selbstverständlich für sie gewesen,nie hatte sie sie beachtet. "Ich wusste gar nicht, dass ich daraufstolz sein darf", dachte sie.

 

 

VorFreude begann sie zu singen und es klang so ähnlich wie der Wind, wenner um die Häuserecken fegt. Aber sie wollte auch Anerkennung für dieviele Mühe, die sie sich gegeben hatte und sie freute sich auchdarüber, was sie alles gelernt hatte.

Amnächsten Tag sauste Putzelchen wieder und wieder durch die Wipfel derBäume. Sie war übermütig und freute sich darauf, bald die edelmütigen,überschwänglichen Waldgeister kennenzulernen.

"Juhu,Juhu, Juhuuu!" jauchzte sie. "Gefällt es euch, wenn ich sause?" DieBäume lachten und wiegten sich in dem kleinen Sturmwind, dass alleBlätter rauschten. "Es ist wundervoll!" riefen sie ihr zu.

Undabends, als die rote Glut der Sonne erlosch, setzte sich Putzelchen aufihre Erle und fühlte sich zufrieden und glücklich, wie noch nie.

 

 
 
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