Das kleine Waldhaus


In einem dunklen Wald, tief im Schatten verborgen,   standein kleines Haus. Es war alt, halb verfallen, die Fensterbrettermorsch, die Scheiben zersprungen, der Lehm an vielen Stellen vom Pilzbefallen. Alles war feucht und roch ganz modrig. Efeu kletterte überallan den Wänden hoch und erstickte das kleine Haus fast, so dass es nochdüsterer und trauriger wirkte.

Esstand aber nicht allein an dieser dunklen Stelle, oh nein! Da war eingroßer, stämmiger, alter Baum. An seinen Stamm hatte sich das Häuschenschon lange Jahre ganz eng angelehnt und wurde durch die Äste undZweige  des Baumes gestützt. Die beiden redeten ab und zu miteinander.

DieKrone des Baumes war so dicht und groß, dass fast gar kein Sonnenlichtdurchdringen konnte, selbst im Winter, wo doch gar keine Blätter an denBäumen sind. Hinter dem Baum und dem Haus stand undurchdringlichesGestrüpp, und hier begann ein finsterer Wald, den keiner gern betretenhätte.

Eines Tages kamen drei Mädchen in den Wald. Sie suchten Heidelbeeren.

„Siehmal, was für ein gemütliches, kleines, verwunschenes Häuschen dortsteht“, sagte eine von ihnen zu ihren Freundinnen. Alle drei schlichenlangsam und mit klopfendem Herzen ans Haus heran. Vielleicht lag ja einSchatz drinnen?

„So,du findest, dass ich gemütlich aussehe“, sagte plötzlich jemand. „Aberich bin so schrecklich traurig, weil ich alt bin und morsch und Angsthabe, bald ganz zusammenzufallen.“

DieMädchen waren kein bisschen erschrocken! Sie hatten schon einigeAbenteuer erlebt und wussten, dass kleine Kindermit Tieren und auch mitHäusern reden können. So wunderten sie sich gar nicht, dass dasHäuschen zu ihnen sprach.

Diedrei Mädchen hießen Lucie, Aischa und Elisa. Sie waren Freundinnen.Lucie und Elisa waren schon sieben Jahre alt, Aischa war sechs. Lucieals die Mutigste – oder könnte man auch sagen, die Vorlauteste ? - sprach oft als erste. Elisa fragte viel und war ein wenig ängstlich, obauch alles erlaubt sei, was sie so gern wollte. Aischa glaubt anZauberwesen. Sie liebte Elfen und  Engel und redete sehr leise.

Luciewollte ihren Mut zeigen und warf dem Häuschen  vor: „Warum stehst duauch hier an dieser dunklen Stelle? Wir haben dich fast nicht gesehen.Schau´ mal dort, da scheint so schön die Sonne mitten auf die kleineWiese. Warum gehst du nicht dort hin und lässt deine feuchten Wändetrocknen?“

Darappelte plötzlich jeder Dachziegel, das Häuschen erbebte und irgendwasquietschte ganz jämmerlich. „Wie kannst du auch so frech sein“,flüsterte Aischa. Doch dann merkten sie, dass das Haus wohl gelachthatte.  

„Hatman je sowas gehört, “ sagte das Haus, „als ob ein altes Haus einfachweggehen könnte! Ich stehe seit vielen Jahrzehnten hier. Damals, alsich gebaut wurde, da war der Baum noch ganz jung und schlank und seineKrone ließ viel Licht hindurch. Aber er ist immer größer geworden undseine Krone immer dichter. Ich habe seit vielen Jahren keine Sonne mehrgesehen.“

Jetztsahen die Kinder, wie ein Tropfen am linken Fensterrahmen herablief wieeine Träne. Elisa seufzte voller Mitgefühl. Sie bewunderte Lucie einwenig, weil die immer gleich wusste, was zu tun war. Daher sagte sienun: „Dann musst du diesen Schritt wagen. Komm zu dem sonnigen Platzauf der Wiese. Lass den alten Baum  los! Wir helfen dir. Wir werdendich festhalten und unsere Schutzengel beschützen dich. Du musst mutigsein!“

Luciestimmte begeistert zu: "Wir werden dich neu herrichten, wir werden dirneue Scheiben einsetzen, dich strahlend weiß anstreichen und allessäubern und hübsch machen." Sie hüpfte voller Freude herum. "Auch einaltes Haus kann wieder jung sein, wir werden dich wundervollinstandsetzen", rief sie laut. "Reiß dich vom Efeu los, wage es! Essind nur zwanzig Schritte bis zur Sonne."

Dafing das Haus an zu strahlen, die beiden Fenster blinkten richtig."Glaubt ihr wirklich, ich könnte das schaffen? Ich habe aberschreckliche Angst. Vielleicht fallen meine Bretter und Balkenauseinander? Was dann?" Doch trotz der Bedenken sah das Häuschen aus,als wäre es glatt einen halben Meter größer geworden, irgendwieaufrechter stand es da.

Plötzlichheulte ein Wind in den Zweigen des Baumes. Erschrocken drängten sichdie Kinder zusammen. Redete der Baum mit dem Häuschen? Sie konntennichts hören als das Rauschen der Zweige und sie erschauerten. Der Baumflüsterte heiser, ganz tief klang seine Stimme, jetzt konnten ihn auchdie Mädchen verstehen.

"Hörnicht auf das Gerede. Die wollen nur, dass du zusammenfällst. Das sindböse und dumme Ideen. Hier ist dein Platz sicher. Ich stütze dich, ohnemeine Äste und Zweige kannst du doch gar nicht mehr stehen..."

"Ja,und dabei sterbe ich vor Traurigkeit", beendete das Häuschen diesenSatz, aber nur in seinen Gedanken. "Ach, wie gern würde ich mich an denSonnenstrahlen erfreuen können."

Eswurde ganz still. Das Haus sah erschöpft aus, freudlos, vergrämt undeinsam. "Ich bin schon so alt, die Balken sind morsch. Ich würde es jadoch nicht schaffen."

"Aberdoch schaffst du es, du musst dich nur lösen. Lass den Baum los undkomm mit uns in die Sonne, dann kannst du trocknen und der Schimmelwird verschwinden. Komm jetzt gleich!" Aischa trippelte von einem Fußauf den anderen vor Ungeduld.

"Gut,antwortete da das Haus", ja, ich werde es wagen, aber helft mir!" Undes erzitterte und bebte, es krachte und ächzte. Die Dachschindelnklapperten wie Zähne, die aufeinander schlagen. Die drei Mädchenstanden da und hielten den Atem an. Ihre Augen glänzten, und vorAufregung hielten sie sich ganz fest an den Händen.

Dariss ein ganzer Strang Efeu und fiel zu Boden. Das Haus bewegte sich.Ganz langsam, Stück für Stück stemmte es sich in die Höhe und schobsich Zentimeter um Zentimeter vom Baum fort.

 

 

Eszittere so sehr, dass die Kinder große Angst bekamen und sehrerschraken, als hinten ein dickes Brett herunterfiel, aber es war nurein Brett, das vor langer Zeit mal jemand vor das hintere Fenstergelegt hatte.

 

 

Da- jetzt fielen einige Dachziegel! Hatte sie der Baum herunter gestreiftmit seinem dicken Ast? Das Häuschen stemmte sich immer höher und höher.Nun konnte es den ersten Schritt tun. Es strahlte trotz seiner Angstund trat nun ganz vorsichtig über eine Baumwurzel hinweg.

Jetztkonnten die Mädchen näher kommen. Elisa und Aischa stützten die linkeSeite, Lucie die rechte ein wenig ab. Langsam bewegte sich das Häuschenvorwärts. Es ächzte und stöhnte. Dicke Tropfen liefen an denFensterrahmen herunter. Aber nun stand es schon ein kleines Stück vomBaum entfernt und machte erst mal eine Pause. Ein tiefer Schnaufer kamaus seinem Inneren.

"Gehnicht weiter, geh nicht! Du läufst ja in dein Unglück!" drohte eineheisere, tiefe Stimme. Der Baum hatte voller Widerwillen zugesehen. Daswollte er nicht zulassen, er wollte nicht allein zurückbleiben! Erwollte nicht seine Unbeweglichkeit und Starrheit zugeben und flüsterteeindringlich und deutlich: "Du wirst zusammenstürzen. Komm zurück!"

Aberdas Häuschen hatte sich schon zu weit vorgewagt, es ließ sich nichtaufhalten und hörte gar nicht hin. Es antwortete garn nicht undsammelte seine Kräfte für die nächsten Schritte.

Dasammelte der Baum all seine bösen Zauberkräfte, während er dachte:"Wenn es nicht bei mir bleibt, soll es gar nicht sein!" Und er riefeinen gemeinen Gnom herbei. Das konnte er nämlich. Alle seine Kräftebündelte er - und da war er auch schon - ein hämisch grinsender Gnom.Blitzschnell konnte der sich in alles verwandeln.

 


Der Baum flüsterte: "Werde zu einem Stein, bring es ins Stolpern, leg dich vor sein Bein."

 

Blitzschnellschnellte der Gnom zum Häuschen und verwandelte sich in einen Stein.Die Kinder hatten nichts bemerkt. Langsam gingen sie neben demschnaufenden Häuschen her. Vor diesem lag ein gerader, ebener Weg. Nurum zwei Tannen war es vorsichtig herumgegangen.

 

 

Da- es krachte plötzlich! Das Haus wankte erst seitlich, - die Mädchenstoben auseinander - , dann stolperte es vor und zurück - es knackteund knarrte, ächzte und stöhnte, wankte und schwankte - es konnte sichnicht mehr halten...

 

Dochnicht nur die bösen Geister hatten zugesehen! Auch die Schutzengel derKinder waren da. Sofort hatten sie alle Schutzgeister des Waldeszusammengerufen - diese können in Sekundenschnelle herbeikommen.Plötzlich fühlte sich das schwankende Häuschen aufgefangen. Es merkte,dass es ganz sanft gehalten wurde. Langsam setzt es sich hin - mittenauf den Stein!

"Wasist den geschehen, was war denn nur?" fragten die Mädchen aufgeregt."Irgendwas lag im Weg, ich bin dran gestoßen und habe das Gleichgewichtverloren." Das Häuschen zitterte noch ein wenig, beruhigte sich aberbald. "Wir haben aber nichts gesehen", beteuerten die Mädchen undredeten alle durcheinander.

DasHäuschen dachte still darüber nach, wer es so liebevoll aufgefangenhatte. Es traute sich noch nicht, darüber zu reden. "Es werden dieliebevollen, alten Waldfeen gewesen sein", sagte es zu sich selbst.Aber es hatte sie noch nie gesehen, und deswegen war es still.

DerStein war durch das Gewicht tief in die Erde gedrückt worden. Als sienun weitergingen, konnten sie ihn nicht erkennen. Aber Aischa sah dochab und zu nach hinten und - da - flitzte da nicht etwas? Sie hätteschwören können, dass ein kleines, hässliches Wesen blitzschnell zumBaum gehuscht war. Aber da sie sowas noch nie gesehen hatte, behieltsie es erst mal für sich. Vielleicht hatte sie sich nur getäuscht.

 

 

Endlicherreichten sie den Platz am Rande der sonnigen Wiese. Hell schien hierdas Licht, den ganzen Tag lang! Das Häuschen kauerte sich hin,vollkommen erschöpft, aber noch ganz! Es strahlte und blinkte aus allenFensteröffnungen. Und die Mädchen freuten sich mit ihm. Sie öffnetendie Eingangstür und ließen den warmen, sanften Wind hindurch wehen.

 

 

 

 

 

Siesetzten sich auf die Stufen vor dem Eingang und packten ihren großenRucksack aus. Leckere Sachen waren darin verstaut, belege Brote,gekochte Eier, drei große Stücke Kuchen und eine Kanne voll Kakao.Niemand sprach etwas.

 

 

Nacheiniger Zeit kam eine Meise angeflogen und setzte sich ganz oben aufden Schornstein des Häuschens. Sie zwitscherte und flötete ein Lied.Ringsum war alles still, nur das wunderschöne Lied des Vögelchens warzu hören. Hatte das Häuschen das Lied verstanden? Es sah sehr glücklichaus.

"Morgenkommen wir wieder," sagten die Kinder."Wir müssen jetzt nach Hausegehen, aber morgen kommen wir und bringen Farben und Lappen mit, umdich zu putzen und schön zu machen."

 

 

DasHaus war so erschöpft, dass es gar keine Angst hatte vor der Nacht. Eswürde bestimmt schlafen, bis am nächsten Morgen die Sonne aufging. Undaußerdem - hatten ihm nicht die alten Waldfeen schon mal beigestanden,und hatte die Meise nicht so wunderschön gesungen? Nein, das Häuschenhatte keine Angst vor der Nacht!

 

 

 

 

Schonrecht früh kamen die Mädchen am nächsten Morgen wieder, obwohl dochFerien waren. Sie hatten zwei volle Rucksäcke mitgebracht und dieErlaubnis, den ganzen Tag im Wald bleiben zu dürfen. Die Rucksäckewaren schwer und bis oben vollgestopft mit Farben, Pinseln, Tüchern,Broten, Kuchen und Tee. Alles war durcheinander gestopft und nunbreiteten die Kinder ihre Schätze vor dem Häuschen aus.

 

Daskleine Waldhaus lachte, dass es erbebte, und noch ein paar Dachziegelherunterfielen. Es erzählte den Mädchen, dass es gar nicht alleingeblieben sei. Eine Igelfamilie war nämlich grunzend und schnaufendherangekommen. Die Igelmutter war sehr erstaunt und erfreut gewesen,dass unvermittelt ein Haus auf der Wiese stand, ein Haus mit lauterdunklen, gemütlichen Ecken, wo sich Igel wunderbar verstecken können.Sie rollte sich mit ihren Jungen unter der Eingangsstufe ganz dichtzusammen und verbrachte dort die Nacht.

Denganzen Tag über putzten, malten, nagelten, strichen und wischten dieMädchen das Haus und auch am nächsten Tag und noch einige Tage mehr.Sie lüfteten das Häuschen, reparierten die Fenster und rissen dieletzten Efeuranken herunter. Schon nach einigen Tagen sah es ganzanders aus, weiß angestrichen, glänzend vor Sauberkeit.

 

DieSonne hatte es getrocknet. Es roch gar nicht mehr modrig. Die Schindelnwaren wieder auf dem Dach. Am Schornstein, an der Stelle, wo zweiZiegel fehlten und eine geschützte Höhlung entstanden war, hatte dieMeise ihr Nest gebaut und flog den ganzen Tag hin und her. DieIgelfamilie hatte den Platz unterm Eingangsstein zu ihrem Stammplatzerkoren.

ImWald sprach es sich herum, dass das kleine Waldhaus jetzt in der Sonnestand. Die Rehe und Hasen, Hirsche und Füchse, Dachse und Igel kamenalle zu Besuch, und das Häuschen freundete sich mit einigen an.

Auchder Baum hatte die ganzen Tage über das Treiben beobachtet. Er tatnichts Böses mehr, er war erstaunt, dass das kleine Waldhaus so vieleFreunde gewonnen hatte. Es war ja gar nicht einsam und allein!

Erselbst besaß gar keine Freunde. Nur ein alter Kauz saß ab und zu aufseinem dicksten Ast und unkte, nörgelte und malte sich alle möglichenGefahren aus.

EinesTages feierten die Kinder mit dem Häuschen ein großes Fest. Aischa,Elisa, und Lucie schleppten Getränke und Kuchen herbei und freuten sichan der gelungenen Arbeit. Am Ende des Tages hielt das Häuschen einekleine Festrede: "Ihr habe recht gehabt, auch ein altes Haus kannvergnügt sein. So viel Jahre lang habe ich mich an den Baum geklammert,weil ich Angst hatte. Nun stehe ich in der Sonne und bin immer nochsehr aufgeregt. Aber das Leben ist so schön geworden. Ich genieße jedenTag. Viele Freunde habe ich kennen gelernt und dafür bin ich dankbar,und ich habe euch lieb gewonnen!"

"Weißtdu was", antwortete die liebevolle Aischa, "ich finde, jedes Lebewesensollte zu dem Platz gehen, an dem es Freude erlebt und sich geborgenfühlt.

 

Nunwillst du sicher wissen, wie die Geschichte vom kleinen Waldhausweiterging. Oh, es musste noch viele Abenteuer bestehen. Es kamen nichtnur freundliche Lebewesen zu Besuch!

 

 

EinesTages kam ein hässliches Waldschratpaar, und das Haus musste vieleÄngste durchleben, bis es merkte, dass alles gar nicht so schlimm war.Auch der garstige Gnom war wieder da, und ein liebevoller Magier hattealle Hände voll zu tun. Auch der Baum...

Doch dies alles wird in einer anderen Geschichte erzählt.


 
 
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